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Hochfunktionale Depression: Das verborgene Leid
Beim Stichwort Depression denken die meisten Menschen an starke Traurigkeit, wenig Energie, sozialen Rückzug oder Schwierigkeiten aus dem Bett zu kommen und den Alltag zu bewältigen. Doch nicht immer trifft das so zu. Bei einer hochfunktionalen Depression meistern Betroffene weiterhin ihren Alltag, glänzen im Job, nehmen am sozialen Leben teil. Auf den ersten Blick scheint also alles in Ordnung. Doch der Schein trügt. Der enorme Kraftaufwand, den das alles kostet, und die Leere und Erschöpfung, die sich innerlich breit machen, sind bei der hochfunktionalen Depression für andere nicht erkennbar. Wie sich diese Form der Depression äußert und welche Diagnosen gestellt werden können, erfährst du in diesem Artikel.
Ein Blick hinter die intakte Fassade
Sarah ist Anfang dreißig, arbeitet als Projektmanagerin in einem großen Unternehmen und lebt in einer festen Partnerschaft. Verantwortungsbewusst geht sie ihren Aufgaben nach und wird von ihren Kolleg:innen als erfolgreich und engagiert wahrgenommen. Von außen betrachtet scheint ihr Leben „perfekt“: Sie hat einen gut bezahlten Job, eine tolle Wohnung und ein stabiles soziales Umfeld.
Und doch fühlt sich Sarah oft leer und erschöpft. Ein unterschwelliges Gefühl von Traurigkeit begleitet sie im Alltag. Zudem wird sie von starken Selbstzweifeln geplagt und schläft oft schlecht. Sie steht jeden Tag auf, geht zur Arbeit, erledigt ihre Aufgaben effizient und professionell – aber ohne echte Freude, Stolz oder Motivation. Ihre Kolleg:innen und Freund:innen wissen nicht, wie es Sarah geht, da sie sich stets bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Sie nimmt Einladungen an, lacht an den passenden Stellen, während sie sich innerlich isoliert und ausgelaugt fühlt. Oft hat sie den Eindruck, als würde sie einfach nur funktionieren, ohne wirklich am Leben teilzunehmen.
Sarah merkt, dass es ihr nicht gut geht, aber sie denkt, dass es “ja nicht schlimm genug ist”, um Hilfe zu suchen. Schließlich erfüllt sie ihre Aufgaben und fällt nicht aus dem Rahmen. Manchmal fragt sie sich jedoch, wie lange sie diesen Zustand noch ertragen kann, da die innere Erschöpfung von Woche zu Woche zunimmt.
Sarahs Beispiel zeigt: Auch wenn Menschen im Alltag funktionieren, können sie unter depressiven Symptomen wie Niedergeschlagenheit, vermindertem Selbstwert oder Schlafstörungen leiden. Das Tückische an einer hochfunktionalen Depression ist, dass die Betroffenen und ihr Umfeld die Erkrankung meist nicht als solche erkennen oder Symptome nicht ernst nehmen. Der Eindruck, dass doch eigentlich “alles läuft” kann zur falschen Schlussfolgerung führen, dass die Beschwerden nicht stark genug sind, um aktiv zu werden. Professionelle Hilfe wird dann gar nicht oder erst sehr spät in Anspruch genommen, obwohl der Leidensdruck hoch ist.
Einordnung der hochfunktionalen Depression
Die hochfunktionale Depression ist keine eigenständige Diagnose in den gängigen Klassifikationssystemen psychischer Erkrankungen (ICD-10 und DSM-5). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Betroffenen weniger belastet sind, sondern liegt vor allem daran, dass es zum Konzept der hochfunktionalen Depression bisher wenig Forschung gibt. Leiden Menschen unter depressiven Symptomen, während sie weiterhin ihre beruflichen Pflichten erfüllen und sozialen Aktivitäten nachgehen, können verschiedene Erkrankungen diagnostiziert werden – je nach Dauer und Ausprägung der Symptome.
Depressive Episode
Eine depressive Episode ist die häufigste Form der Depression. Zu den Symptomen zählen unter anderem eine gedrückte oder niedergeschlagene Stimmung, Antriebslosigkeit und der Verlust von Interesse und Freude über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen. Je nach Anzahl und Ausprägung der Symptome kann eine depressive Episode entweder leicht, mittelgradig oder schwer ausgeprägt sein.
Wer unter einer leichten Depression leidet, hat Schwierigkeiten, alltägliche Aufgaben, soziale Kontakte und Beruf wie gewohnt zu bewältigen, gibt diese aber nicht vollständig auf. Während einer schweren depressiven Episode können diese Aktivitäten hingegen nur sehr begrenzt oder gar nicht fortgeführt werden.
Atypische Depression
Menschen, die von einer atypischen Depression betroffen sind, erleben depressive Symptome, die sich in der Art, Anzahl oder Dauer von den klassischen Symptomen einer depressiven Episode unterscheiden. Zu den Merkmalen einer atypischen Depression gehören:
- Eine eher gedrückte oder niedergeschlagene Stimmung, die sich jedoch bei positiven Erlebnissen vorübergehend aufhellen kann
- Vermehrter Appetit oder Gewichtszunahme
- Übermäßiges Schlafen
- Eine bleierne Schwere in den Gliedmaßen
- Eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung
Oft wirken die Betroffenen einer atypischen Depression nach außen unbelastet und meistern ihren Alltag, während sie innerlich unter ihren Beschwerden leiden.
Dysthymie
Hinter der Diagnose Dysthymie (oder auch Dysthymia) verbirgt sich eine langanhaltende depressive Verstimmung, die mindestens zwei Jahre andauert. Die depressiven Symptome sind dabei leichter ausgeprägt als bei einer depressiven Episode. Diese chronische Erkrankung beginnt oft schon im frühen Erwachsenenalter. Betroffene erleben für gewöhnlich immer wieder Tage oder Wochen mit besserem Befinden, leiden dann aber wieder längere Zeit unter gedrückter Stimmung, grübeln viel, haben wenig Energie und empfinden den Alltag als große Anstrengung. In der Regel können Menschen, die an einer Dysthymie erkrankt sind, ihre alltäglichen Aufgaben bewältigen – weshalb ihr Leid vom Umfeld oft unerkannt bleibt. Und auch die Betroffenen selbst denken bei dem, was sie erleben, manchmal nicht an eine psychische Erkrankung. Denn gerade wenn die Symptome schon sehr lange anhalten und vergleichsweise mild ausgeprägt sind, können sie fälschlicherweise als Teil der eigenen Persönlichkeit wahrgenommen werden: “Ich war schon immer eher schwermütig”.
Hilfe bei Depressionen
Ob eine hochfunktionale Depression einer (leichten) depressiven Episode, einer atypischen Depression oder einer Dysthymie entspricht, kann nur im Rahmen einer fachärztlichen oder psychotherapeutischen Diagnostik geklärt werden. Der wichtigste Schritt bei depressiven Beschwerden aller Art besteht darin, sie ernstzunehmen und sich Unterstützung zu suchen. Am besten so frühzeitig wie möglich.
Auch wenn du im Alltag noch “funktionierst”, sollte dich das nicht davon abhalten, dich jemandem anzuvertrauen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Unbehandelt dauern depressive Erkrankungen in der Regel deutlich länger an und können stärker werden. Welche Behandlung letztlich die passende ist, hängt von der Ausprägung und Dauer der Symptome ab. Nicht jede Form der Depression erfordert eine Psychotherapie oder Medikamente. Manchmal können auch beratende Gespräche oder Hilfe zur Selbsthilfe ausreichend sein, in denen die Betroffenen mehr über ihre Erkrankung und den Umgang damit lernen.
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