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Introversion, Schüchternheit, Soziale Angststörung – Was sind die Unterschiede?

„Alles ok bei dir, du bist so still!?”, “Wieso warst du nicht bei der Feier?”, “Komm doch mal mehr aus dir heraus”.

Kommen dir solche Sprüche bekannt vor? Falls ja, zählst du vielleicht zu den eher introvertierten Menschen, bist schüchtern – oder beides. Doch was ist eigentlich der Unterschied zwischen Introversion und Schüchternheit? Und gibt es einen Zusammenhang mit Sozialer Angststörung? Das klären wir in diesem Artikel.

Introversion, Schüchternheit, Soziale Angststörung – Was sind die Unterschiede?

Das Party-Dilemma

 

Stell dir vor, du wirst zu einer Party eingeladen. Es wird eine große Feier, auf der getanzt wird. Da werden viele Menschen sein, die du nicht kennst. Welche Gefühle und Gedanken löst das in dir aus?

Während es einige Menschen gibt, die einer solchen Party vorfreudig entgegenfiebern, gibt es vermutlich ebenso viele Menschen, bei denen der Ausblick auf die Feier gemischte oder sogar mulmige Gefühle hervorruft. Und das aus unterschiedlichen Gründen.

“Das wird bestimmt ganz schön anstrengend mit so vielen Leuten, der lauten Musik, dem Small-Talk… Vermutlich gehe ich hin, aber bleibe nicht so lange. Und für den nächsten Tag nehme ich mir lieber mal nichts vor, damit ich mich erholen kann.” So oder so ähnlich könnten die Gedanken einer eher introvertierten Person lauten.

Bei einer schüchternen Person werden im Vorfeld der Feier hingegen vermutlich eher ängstliche Gefühle und Gedanken aufkommen, etwa: “Wer wohl alles da sein wird? Hoffentlich stehe ich nicht alleine rum, das wäre mir sonst schon etwas peinlich.”

Auch bei einer Person, die unter einer Sozialen Angststörung leidet, löst der Gedanke an die Party Ängste aus – und diese sind nochmal deutlich intensiver als bei der schüchternen Person. “Ich werde mich da sicher total blamieren und alle werden es mitbekommen. Das würde ich nicht aushalten. Es ist sicherer, wenn ich absage.”

Natürlich handelt es sich bei diesen Beispielen um Verallgemeinerungen, die im Einzelfall zutreffen können, aber nicht müssen. So ist es ebenso möglich, dass eine introvertierte Person die Feier absagt, während jemand mit einer Sozialen Angststörung sich der eigenen Angst stellt und daran teilnimmt. Doch vielleicht hast du nun schon eine bessere Vorstellung davon, welche Gefühle und Gedanken jeweils zentral sind.

 

 

Introversion – wenn die Kraft in der Ruhe liegt

 

Vor rund hundert Jahren wurden Introversion und Extraversion als Persönlichkeitsmerkmale in die Psychologie eingeführt. Zum ersten Mal beschrieben wurden sie von Carl Gustaf Jung, dem Begründer der analytischen Psychologie. Es handelt sich dabei nicht um grundverschiedene Kategorien, sondern um zwei Endpole derselben Skala. Nur wenige Menschen sind sehr introvertiert oder stark extravertiert, die meisten bewegen sich irgendwo dazwischen. Die lateinischen Wörter, von denen sich die Begriffe ableiten – “extra” (außen), “intro” (hinein) und “vertere” (wenden) – geben erste Hinweise auf die Bedeutung.

So zeichnen sich extravertierte Personen durch eine nach außen gewandte Haltung aus. Den Austausch mit anderen empfinden sie als anregend und energiespendend – daher suchen sie aktiv die Gesellschaft ihrer Mitmenschen. Auf andere wirken extravertierte Menschen oft herzlich, fröhlich, abenteuerlustig und durchsetzungsstark, manchmal auch dominant.

Introvertierte Menschen richten ihre Aufmerksamkeit und Energie stärker auf ihr Innenleben. Im Alleinsein tanken sie neue Kraft, während sie sich im Trubel einer größeren Gesellschaft in der Regel schnell ausgelaugt fühlen. Wer introvertiert ist, schätzt oft durchaus soziale Kontakte – aber zieht ruhige Treffen zu zweit oder in kleiner Runde einer Großveranstaltung vor. Auf andere wirken introvertierte Menschen oft ruhig, bedacht und zurückhaltend, manchmal auch reserviert oder kühl.

Introversion und Extraversion – keine Ausprägung ist besser oder schlechter, beides geht mit individuellen Stärken und Herausforderungen einher. Und eine Gesellschaft lebt von unterschiedlichen Charakteren. Die leiseren Töne braucht es genauso wie die lauten. Dennoch hadern weit mehr Menschen mit ihrer introvertierten Persönlichkeit und wären gern extravertierter als andersherum. Der Grund dafür: Extravertiertes Verhalten erhält in westlichen Kulturkreisen deutlich mehr Zuspruch und wird im Allgemeinen positiver angesehen. “Alles ok bei dir, du bist so laut?” muss sich wahrscheinlich kaum eine extravertierte Person jemals anhören.

Doch ob du eher introvertiert oder extravertiert bist, kannst du dir nicht aussuchen. Wie auch bei anderen Persönlichkeitsmerkmalen ist das zu einem großen Teil von Geburt an festgelegt und wird zum anderen durch frühe Einflüsse deiner Umwelt ausgeformt. Im Erwachsenenalter sind Persönlichkeitsmerkmale dann relativ stabil – wenn sie sich ändern, dann eher geringfügig und langsam. Im Hinblick auf deine Persönlichkeit geht es also vor allem darum, sie zu kennen, herauszufinden, was dir gut tut und dich so wertzuschätzen wie du bist. Den Blick für die eigenen Stärken zu schärfen, kann dabei helfen. So verfügen viele introvertierte Menschen beispielsweise über eine feine Beobachtungsgabe, sind aufmerksame Zuhörer:innen und können sich konzentriert in ihre Aufgaben vertiefen.

 

 

Schüchternheit – wenn Neues Zurückhaltung auslöst

 

Schüchternheit bezeichnet die Tendenz, in unvertrauten sozialen Situationen zunächst mit Ängstlichkeit und Zurückhaltung zu reagieren. Schüchterne Menschen brauchen länger, um mit anderen warm zu werden. Sie sind im Kontakt anfänglich gehemmt und fürchten sich davor, negativ bewertet oder zurückgewiesen zu werden. Genau hier liegt der Unterschied zwischen Introversion und Schüchternheit. Während introvertierte Menschen Energie im Alleinsein tanken und es deswegen häufig vorziehen, würden viele schüchterne Personen gerne leichter mit anderen in Kontakt kommen, aber trauen sich nicht. Ursache für die Zurückhaltung ist im Fall von Schüchternheit also Angst.

Schüchternes Verhalten lässt sich schon sehr früh beobachten, wenn sich Kleinkinder bei der Begegnung mit Unbekannten hinter dem Rücken der Eltern verstecken. Schüchternheit ist als Temperamentsmerkmal bereits angeboren. Das System im Gehirn, das auf Neues mit hemmendem Verhalten reagiert, ist bei schüchternen Personen von Geburt an besonders stark ausgeprägt. Durch beschämende Erfahrungen und soziale Ablehnung kann sich die Schüchternheit im weiteren Leben verstärken, durch positive Erlebnisse kann sie wiederum auch abgeschwächt werden.

Schüchternheit ist also – ebenso wie Introversion – ein Persönlichkeitsmerkmal, das teils angeboren, teils erlernt ist. Es handelt sich nicht um eine Krankheit. Auch wenn viele Menschen ihre Schüchternheit gerne ablegen würden, ist sie im Alltag in der Regel kein unüberwindbares Hindernis und erzeugt eher geringen Leidensdruck. Denn haben schüchterne Personen erst einmal Vertrauen in neuen Situationen oder mit neuen Kontakten aufgebaut, nimmt ihre Zurückhaltung und Nervosität für gewöhnlich ab.

 

 

Soziale Angststörung – wenn die Furcht vor Bewertung das Leben bestimmt

 

Für Betroffene einer Sozialen Angststörung ist die Angst vor Blamage oder Demütigung stetige Begleiterin. Während schüchterne Menschen nach einiger Zeit ihre Zurückhaltung ablegen können, stehen Menschen mit Sozialer Angststörung in sozialen Situationen dauerhaft unter Anspannung. Körperliche Begleiterscheinungen der Angst, wie Erröten, Zittern oder Schwitzen treten bei der Sozialen Angststörung meist in viel höherem Maße auf und verstärken die Furcht, von anderen bewertet zu werden. Oft ist der Alltag deutlich eingeschränkt, da die Betroffenen die angstauslösenden Situationen wann immer möglich vermeiden.

Zwischen Schüchternheit und der Entwicklung einer Sozialen Angststörung besteht tatsächlich ein gewisser Zusammenhang. Wer schüchtern ist, vermeidet bereits als Kind eher den Kontakt mit Erwachsenen und Gleichaltrigen und sammelt dadurch weniger positive Erfahrungen in sozialen Situationen. An der Entwicklung einer Sozialen Angststörung sind jedoch immer mehrere Faktoren beteiligt.

Die Soziale Angststörung zählt zu den häufigsten psychischen Erkrankungen – etwa jede:r Zehnte:r ist im Laufe des Lebens betroffen. Mehr dazu, wie sich die Erkrankung äußert, wie sie entsteht und wie sie behandelt wird, erfährst du hier.

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