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Das Schweigen brechen: Wie du psychische Gesundheit zum Thema machen kannst

Über eine Erkältung oder ein gebrochenes Bein zu sprechen, ist für die meisten Menschen vollkommen alltäglich. Im Gegensatz dazu wird über psychische Belastungen immer noch häufig geschwiegen – meist aus Scham, Unsicherheit oder Angst vor Stigmatisierung. Dabei können Gespräche enorm viel bewirken. Ein Gespräch kann entlasten und Hoffnung spenden. Es kann die Erfahrung eröffnen, nicht allein zu sein. Es kann der erste Schritt sein, um passende Hilfe zu erhalten. Und manchmal kann es sogar Leben retten.

Wie du psychische Gesundheit zum Thema machen kannst

Du fühlst dich selbst psychisch belastet? Du machst dir Sorgen um das psychische Wohlergehen einer Person in deinem Umfeld? Für beide Perspektiven haben wir einige Vorschläge gesammelt, die dir vielleicht helfen können, Mut zu fassen und ins Gespräch zu kommen.

 

Dich jemandem anvertrauen

Sprechen oder doch lieber schweigen?

Stell dir mal eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von 100 Erwachsenen vor – zum Beispiel die Bewohnerinnen und Bewohner eines Hochhauses. Und nun versuche mal zu schätzen, wie viele dieser Personen von einer psychischen Erkrankung betroffen sind.

Laut Statistiken ungefähr 25. Also rund jede:r Vierte. Und das sind nur die Personen, die tatsächlich die Kriterien einer psychischen Erkrankung erfüllen. Dazu kommen noch einige mehr, die zwar (noch) nicht krank sind, aber sich dennoch belastet fühlen.

Obwohl psychische Erkrankungen und Belastungen so häufig sind, haben viele Betroffene den Eindruck, mit ihrem Leid allein zu sein. Das kann Scham erzeugen. Dazu gesellen sich gern Befürchtungen wie “Es würde bestimmt niemand verstehen”, “Aus der Schublade komm ich dann nie wieder raus” oder “Die anderen könnten sich abwenden, wenn sie Bescheid wissen”. Die Hürde, sich jemandem anzuvertrauen, ist oft hoch und mag sogar unüberwindbar erscheinen.

Ein erster Schritt kann es dann sein, beide Optionen – Sprechen und Schweigen – bewusst gegeneinander abzuwägen. Was spricht aus deiner Sicht jeweils dafür und was dagegen? Welche Hoffnungen und Chancen gehen damit einher? Welche Befürchtungen und Risiken? Und für wie wahrscheinlich hältst du es, dass das, was du erhoffst oder befürchtest, tatsächlich eintritt?

Auch wenn es in aller Regel viel mehr Argumente fürs Sprechen gibt: Die Entscheidung, ob und wem du dich anvertraust, triffst natürlich ganz allein du.

 

Im Vorfeld

Wenn du dich mit jemandem mitteilen möchtest, stellt sich zunächst die Frage: Wen ziehst du ins Vertrauen? Vielleicht gibt es in deinem Umfeld jemanden, der oder die besonders gut zuhören kann? Oder eine Person, die selbst recht offen über ihre Gefühle spricht? Hör auf dein Bauchgefühl und spüre nach, bei wem du dich wohl fühlst. Das kann ein dir nahestehender Mensch sein, wie ein Freund, deine Partnerin oder dein Bruder. Manchen fällt es auch leichter mit jemandem zu sprechen, der etwas Abstand hat, wie ein Nachbar oder eine Kollegin.

Auch das “Wo” und “Wann” kannst du nach deinen Bedürfnissen planen. Viele Menschen bevorzugen den direkten Kontakt, um über belastende Themen zu sprechen. Anderen fällt es am Telefon leichter, sich zu öffnen. Überlege dir, welches Setting dir helfen könnte, dich mitzuteilen.

Den Einstieg erleichtern kann es, wenn du die andere Person vorab wissen lässt, dass du etwas auf dem Herzen hast und gern mit ihr darüber sprechen möchtest. In diesem Zuge kannst du auch gleich einen Vorschlag für ein Treffen machen: “Mich bedrückt gerade etwas, und ich glaube es würde mir helfen, darüber zu reden. Hast du am Wochenende Zeit, mit mir spazieren zu gehen?”

Wenn du möchtest, kannst du dir vorher schon mal grob überlegen, was du erzählen möchtest. Gerade wenn es dir nicht gut geht, ist das, was dich belastet, vielleicht schwer in Worte zu fassen ist. Manchen Menschen hilft es, ihre Gefühle und Gedanken zu sortieren, indem sie sie aufschreiben. Du kannst dir auch überlegen, ob du einen Wunsch an die andere Person hast. Soll sie dir einfach zuhören? Oder gibt es etwas, wobei sie dich unterstützen könnte, zum Beispiel bei der Suche nach professioneller Hilfe?

 

Im Gespräch

Tempo, Tiefe und Länge des Gesprächs bestimmst du. Klar: Je mehr du von dir erzählst, desto leichter ist es für dein Gegenüber, zu verstehen, was in dir vorgeht. Aber falls es dir zu viel wird, du eine kurze Pause brauchst, oder dir eine Frage zu weit geht, solltest du das sagen. Manche Gesprächspartner:innen versuchen es mit gut gemeinten Ratschlägen – die selten wirklich weiterhelfen. Auch in diesem Fall kannst du sagen, was dir gut tut und was nicht: “Du musst keine Lösungen für mich finden, es hilft mir schon sehr, wenn du einfach zuhörst.” Ebenso kannst du es der anderen Person auch rückmelden, wenn du dich mit ihr wohlfühlst.

Über Belastungen und psychisches Leid zu sprechen kann anstrengend sein und kurzzeitig unangenehme und schmerzhafte Gefühle verstärken. Dennoch sollte das Gespräch dich tendenziell besser statt schlechter fühlen lassen. Falls du den Eindruck hast, dass die andere Person überfordert ist, wenig verständnisvoll reagiert oder dir das Gespräch aus anderen Gründen nicht gut tut, dann zwinge dich nicht dazu, es fortzuführen.

 

Im Nachgang

Unabhängig vom Verlauf des Gesprächs – du kannst stolz auf dich sein, dass du es gesucht hast. Spüre nach, was das Gespräch bewirkt hat. Fühlst du dich vielleicht etwas entlastet? Hoffnungsvoller? Weniger allein? Falls die Reaktion der anderen Person anders ausgefallen ist als erhofft, kann das verschiedene Gründe haben, wie Unsicherheit, mangelnde Kapazität oder geringes Einfühlungsvermögen. Mach dir bewusst, dass all diese Gründe bei der anderen Person zu verorten sind und nichts, wirklich gar nichts mit dir zu tun haben.

Mit den Menschen in deinem Umfeld zu sprechen, ist ein wichtiger Schritt. Manchmal ist ihre Unterstützung für den Moment ausreichend. Fühlst du dich allerdings über einen längeren Zeitraum ziemlich belastet, dann lass dir von einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten helfen.

 

Jemanden ansprechen

Ein Freund zieht sich seit einiger Zeit ohne erkennbaren Grund zurück? Deine Partnerin reagiert in den letzten Wochen ständig gereizt und scheint sehr angespannt zu sein? Eine Kollegin wirkt nun schon länger irgendwie teilnahmslos und traurig?

Wenn du den Eindruck hast, dass es jemandem in deinem Umfeld gerade nicht gut geht, bist du vielleicht unsicher, wie du damit am besten umgehst. Manchmal können dann auch Gedanken in den Sinn kommen, die nahelegen, lieber nichts zu tun: “Wenn er mit mir reden wollte, hätte er das doch schon getan.” oder “Eigentlich geht mich das ja gar nichts an.”

Und wer weiß, vielleicht möchte die andere Person ja tatsächlich nicht mit dir über ihre Probleme sprechen. Vielleicht aber – und so geht es vielen Betroffenen – traut sie sich auch nur nicht, den ersten Schritt zu machen. Aus Angst, eine Belastung zu sein. Oder weil sie sich schämt. Herausfinden wirst du das jedoch nur, wenn du sie ansprichst. Natürlich geht es nicht darum, dein Gegenüber zu einem Gespräch zu drängen. Aber du kannst der anderen Person zu verstehen geben, dass du da bist und zuhörst, falls sie reden möchte – ihr ein Gesprächsangebot machen.

Um euch beiden den Einstieg und das Gespräch ein wenig einfacher zu machen, können folgende Dinge helfen:

Dir selbst Mut machen. Mach dir bewusst, dass du kein:e Expert:in sein musst, um mit jemandem über psychische Probleme zu sprechen. Deine Bereitschaft zuzuhören ist bereits eine gute Grundlage.

Gute Voraussetzungen schaffen. Wähle einen ruhigen Zeitpunkt und eine entspannte Atmosphäre für das Gespräch. Zwischen zwei Terminen oder in einem vollen Café ist es verständlicherweise viel schwerer, sich zu öffnen, als in einem entspannten Moment ohne Zuhörer:innen. Manchen Menschen fällt es leichter, über ihre Probleme zu sprechen, wenn sie in Bewegung sind und der anderen Person nicht direkt gegenübersitzen. Wie wäre es also mit einem gemeinsamen Spaziergang?

Den Einstieg finden. Um ins Gespräch einzusteigen, kannst du zum Beispiel sagen: “Ich habe den Eindruck, dass dich in letzter Zeit etwas bedrückt. Möchtest du darüber sprechen?” Wenn du dir Sorgen machst, kannst du auch das zum Ausdruck bringen: “Du bist mir wichtig und ich sorge mich um dich. Ich höre dir gern zu, falls du mir erzählen möchtest, was dich beschäftigt.” Versuche es nicht persönlich zu nehmen, falls die andere Person nicht auf dein Gesprächsangebot einsteigt. Vielleicht ist sie gerade nicht in der passenden Stimmung oder braucht erst etwas Zeit, um darüber nachzudenken.

Aktiv zuhören. Im Gespräch geht es vor allem darum, aktiv zuzuhören. Versuch dich möglichst unvoreingenommen auf dein Gegenüber einzulassen und lass ihn oder sie das Tempo bestimmen. Offene, wertfreie Fragen, zum Beispiel “Wie fühlt sich das an?” oder “Wie beeinflusst das deinen Alltag?”, können zusätzlich Verständnis schaffen und der anderen Person helfen, sich mitzuteilen.

Die Lösungsfalle umgehen. Widerstehe dem Impuls, Ratschläge und schnelle Lösungen anzubieten. Oftmals entsteht dieser Impuls aus einem eigenen Gefühl der Hilflosigkeit heraus. Psychische Belastungen sind komplex und Betroffene haben in der Regel selbst schon einiges ausprobiert, um damit fertig zu werden. Wenn du dich hilflos fühlst, dann denk daran, dass es schon viel wert ist, dass du da bist und einfach zuhörst.

Eigene Grenzen achten. Als Partner:in, Freund:in oder Kolleg:in bist du Vertrauensperson, aber nicht Therapeut:in der oder des Betroffenen. Ebenso wenig bist du für das Wohlergehen der anderen Person verantwortlich. Natürlich ist es hilfreich, wenn du ihr oder ihm im Rahmen deiner Möglichkeiten zuhörst und einfach da bist. Du darfst aber auch klare Grenzen ziehen, sobald du den Eindruck hast, dass es dir zu viel wird. Gerade wenn dein Gegenüber schon länger belastet ist, ist professionelle Hilfe sinnvoll. Biete der betroffenen Person gegebenenfalls an, sie bei der Suche nach einem Therapieplatz zu unterstützen.

 

Fazit

Wenn du dich selbst psychisch belastet fühlst, kann es sich lohnen, dich jemandem anzuvertrauen. Mit einem unterstützenden Gegenüber über deine Erfahrungen zu sprechen, kann enorm entlasten und dich daran erinnern, dass du nicht alleine bist.

Wenn du dich um das psychische Wohlbefinden einer anderen Person sorgst, kann es hilfreich sein, deinen Eindruck offen anzusprechen und ein Gesprächsangebot zu machen. Achte dabei jedoch auch auf deine eigenen Bedürfnisse und erlaube es dir, Grenzen zu ziehen.

In beiden Fällen gilt: Wenn die Belastung sehr groß ist oder über einen längeren Zeitraum anhält, ist professionelle Hilfe in Form einer Psychotherapie sinnvoll.

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