Verhalten
Psychische Grundbedürfnisse – Was du zum Wohlfühlen brauchst
Hunger, Durst, Schlafmangel – sicherlich weißt du aus eigener Erfahrung, wie unangenehm es ist, wenn körperliche Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind. Langfristig kann das sogar zu körperlichen Schäden führen. Ganz so ist es bei den weniger bekannten psychischen Grundbedürfnissen nicht, dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten.
Mit deinen körperlichen Bedürfnissen bist du täglich konfrontiert. Unangenehme Empfindungen wie Müdigkeit oder Magenknurren machen dich auf sie aufmerksam und fordern dich auf, ihnen nachzukommen. Bei den psychischen Bedürfnissen ist es ähnlich. Sind sie nicht erfüllt, treten unangenehme Gefühle auf. Da viele Menschen mit ihnen – im Gegensatz zu körperlichen Bedürfnissen – jedoch deutlich weniger Erfahrung haben und es keine unmittelbar bedrohlichen Konsequenzen nach sich zieht, wenn sie unerfüllt bleiben, fällt der Umgang mit ihnen mitunter schwerer.
Die folgenden vier Bedürfnisse spielen für das psychische Wohlbefinden eine besonders zentrale Rolle:
1. Das Bedürfnis nach Verbundenheit
Das Bedürfnis nach Verbundenheit spielt in den ersten Lebensjahren, in denen Kinder auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind, eine ganz zentrale Rolle. Gibt es in dieser Phase eine Bezugsperson (zum Beispiel Mutter oder Vater), die verlässlich für das Kind da ist, entwickelt es ein Grundvertrauen in andere Menschen und Beziehungen. Fehlt eine solche verlässliche Bezugsperson, steigt das Risiko, später psychische Erkrankungen zu entwickeln oder Schwierigkeiten zu haben, erfüllende Beziehungen zu führen.
Doch auch in späteren Lebensphasen hat das Bedürfnis nach Verbundenheit einen wesentlichen Einfluss auf die Zufriedenheit. Vielleicht kennst du Situationen, in denen du unglücklich bist, weil du dich alleine fühlst oder eine bestimmte Person vermisst? In diesen Momenten signalisiert dir dein Gefühl, dass dein Bedürfnis nach Verbundenheit nicht so erfüllt ist, wie du es brauchst.
2. Das Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstbestimmung
Fühlt sich ein Kind sicher an eine Bezugsperson gebunden, entwickelt es schon bald andere Wünsche, zum Beispiel eigene Entscheidungen zu treffen oder Situationen zu verstehen und zu kontrollieren.
Verletzt wird dieses Bedürfnis, wenn du häufig die Erfahrung machst, dass Situationen nicht vorhersehbar sind oder dass du keinen Einfluss auf sie nehmen kannst. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn du unerwartet deine Arbeit verlierst, wenn es keine klaren, verlässlichen Regeln gibt, an die du dich halten kannst oder wenn immer wieder andere über deinen Kopf hinweg entscheiden.
3. Das Bedürfnis nach Selbstwert
Sicherlich hast du schon einmal am eigenen Leib erfahren, wie gut es sich anfühlt, Lob zu erhalten, Erfolge zu erringen, selbstgesteckte Ziele zu erreichen? Dann hat sich dein Bedürfnis nach Selbstwert gemeldet. Es handelt sich dabei um das von Kindheit an vorhandene Streben, sich selbst als gut, kompetent und von anderen wertgeschätzt zu fühlen. Wächst jemand in einem vertrauensvollen Umfeld auf, das Erfolge anerkennt und gleichzeitig vermittelt, dass auch Misserfolge dazu gehören dürfen und nichts am Wert als Mensch ändern, wird dieses Bedürfnis erfüllt.
4. Das Bedürfnis nach Vergnügen
Sich stundenlang davor drücken, die Wohnung aufzuräumen, zum Sport zu gehen, für die Prüfung zu lernen – was auf den ersten Blick wie Faulheit wirkt, ist grundsätzlich zunächst das Resultat eines gesunden menschlichen Bedürfnisses. Denn alle Menschen streben von Geburt an unablässig danach, lustvolle Erfahrungen zu sammeln und unangenehme oder schmerzhafte Erlebnisse zu vermeiden.
Sich lustvolle Erfahrungen wie gutes Essen, Zeiten des Nichtstuns oder Hobbies bewusst zu gönnen ist also durchaus eine gute Idee. Denn diese machen glücklich und zufrieden. Genauso wichtig aber ist es, mit Unlustgefühlen umzugehen und diese in einem gewissen Maße auszuhalten, um längerfristige Ziele zu erreichen. Willst du beispielsweise ein gutes Prüfungsergebnis erzielen, ist es unerlässlich dich zum Lernen aufzuraffen und dabei Gefühle von Unlust auszuhalten.
Erfüllte Bedürfnisse machen dich glücklich
Sind deine Grundbedürfnisse erfüllt, geht es dir gut. Dann erlebst du angenehme Gefühle wie Freude, Zufriedenheit oder Stolz. Vielleicht kennst du das Gefühl von Glück und Geborgenheit, wenn du einen wichtigen Menschen nach langer Zeit wiedersiehst? Da ist wahrscheinlich dein Bedürfnis nach Verbundenheit erfüllt. Bekannt kommt dir vielleicht auch das freie, schöne Gefühl auf einer langersehnten Reise vor? Wahrscheinlich freut sich hier das Bedürfnis nach Selbstbestimmung.
Deine Bedürfnisse müssen nicht 24/7 erfüllt sein
Natürlich ist es nicht immer möglich, deine Grundbedürfnisse optimal zu erfüllen. In bestimmten Situationen und Lebensphasen, zum Beispiel nach dem Umzug in eine neue Stadt oder nach einer Trennung, können Grundbedürfnisse vorübergehend frustriert sein. Mit der Zeit schaffst du es vermutlich meistens, die nötigen Umstände zu schaffen, um dein Leben wieder nach deinen Bedürfnissen zu gestalten. Zum Beispiel indem du in einer neuen Stadt erste Kontakte zu anderen Menschen knüpfst. Solche Phasen sind im Leben immer wieder notwendig, um persönliche Weiterentwicklung zu ermöglichen. Zudem gewinnst du gerade in diesen Zeiten Vertrauen in dich, Schwierigkeiten bewältigen zu können.
Anhaltend vernachlässigt? Unerfüllte Bedürfnisse können unglücklich und krank machen
Werden Grundbedürfnisse dauerhaft nicht befriedigt, geht das nicht nur mit anhaltenden unangenehmen Gefühlen und Anspannung, sondern auch mit einer erhöhten Anfälligkeit für psychische Störungen einher. Ist beispielsweise dein Bedürfnis nach Verbundenheit über einen längeren Zeitraum frustriert, weil du keine sozialen Kontakte hast, leidest du mit hoher Wahrscheinlichkeit unter starken Einsamkeitsgefühlen und entwickelst womöglich sogar eine depressive Erkrankung.
Ähnlich ist es, wenn verschiedene Grundbedürfnisse längerfristig in Widerspruch zueinander stehen, wenn beispielsweise eine Beziehung mit einem eher dominanten Menschen zwar das Bedürfnis nach Verbundenheit befriedigt, gleichzeitig aber das Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstbestimmung verletzt.
In solchen Fällen ist es wichtig, dich mit deinen Bedürfnissen auseinanderzusetzen und zu überlegen, wie du ihnen besser gerecht werden bzw. diese in Einklang bringen kannst.
Warum verletzte Bedürfnisse in der Kindheit besonders schwer wiegen
Wenn Grundbedürfnisse in der Kindheit wiederholt nicht befriedigt werden, zum Beispiel weil da niemand ist, auf den ein Kind sich verlassen kann oder weil es ständig von anderen abgewertet wird, kann sich das bis ins Erwachsenenalter auswirken. Wird beispielsweise das Selbstwertbedürfnis in der Kindheit massiv frustriert, richten Betroffene ihr Verhalten später oft übermäßig auf dessen Befriedigung aus, indem sie etwa nach herausragenden Erfolgen streben.
Auch wenn sich Vergangenes nicht mehr ändern lässt, kann es hilfreich sein, sich im Erwachsenenalter mit den ehemals frustrierten Bedürfnissen auseinanderzusetzen, um im Hier und Jetzt einen guten Umgang mit ihnen zu finden. In fast jeder Psychotherapie ist das ein wichtiges Thema.
Die eine reist lieber alleine durch die Welt, der andere sucht die Liebe fürs Leben
Zwar haben alle Menschen die gleichen Bedürfnisse – wie wichtig ein Bedürfnis für die oder den Einzelne:n ist und welche Strategien helfen, Bedürfnisse zu befriedigen, ist dagegen sehr individuell. Abhängig von den Lernerfahrungen und der Persönlichkeit sind jedem Menschen bestimmte Bedürfnisse wichtiger als andere. Während der einen Kontrolle und Selbstbestimmung heilig ist und sie am liebsten wochenlang alleine durch die Welt reist, sind dem anderen enge, stabile Beziehungen wichtiger. Zudem können einzelne Bedürfnisse in bestimmten Lebensphasen in ihrer Bedeutung zu- oder abnehmen. Ein Beispiel ist die in der Pubertät beginnende Ablösung vom Elternhaus: Hier ist das Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstbestimmung besonders stark, während das Bedürfnis nach Verbundenheit mit erwachsenen Bezugspersonen vorübergehend in den Hintergrund tritt. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung läuft der Bindung sozusagen den Rang ab, zumindest innerhalb der Familie.
Ein erster Schritt zum Wohlbefinden: die eigenen Bedürfnisse kennen(lernen)!
Für dein Wohlbefinden ist es vor allem entscheidend, dich und deine Bedürfnisse kennenzulernen und herauszufinden, was dir hilft, sie zu befriedigen. Einen wichtigen Hinweis geben dir dabei deine Gefühle. Überlege, in welchen Situationen du dich besonders wohl fühlst: Unter engen Freunden? Oder wenn du einen Erfolg erzielst? Denke dann darüber nach, welches Bedürfnis in diesen Situationen befriedigt werden könnte. Und umgekehrt gilt: Treten unangenehme Gefühle auf, kannst du dich fragen, was dir gerade fehlt. Hast du den Eindruck, dass deine Bedürfnisse stark ins Hintertreffen oder in Konflikt zueinander geraten sind und du darunter leidest, kann es sinnvoll sein, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Wenn du noch mehr darüber wissen möchtest, was es mit den psychischen Bedürfnissen auf sich hat und wie sie mit deiner Gefühlswelt zusammenhängen, findest du in der MindDoc App mehrere Kurse zu dem Thema.
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