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Prokrastination – Wenn Aufschieben zum Problem wird
“Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen”, rät ein bekanntes Sprichwort. Leicht gesagt, oft schwer getan. So finden sich viele Menschen wohl eher in der Aussage des Schriftstellers Oscar Wilde wieder: “Ich verschiebe niemals auf morgen, was sich auch übermorgen erledigen lässt.” Was es mit dem Hang zum Aufschieben auf sich hat und was beim Anfangen und Erledigen von Aufgaben helfen kann, erfährst du in diesem Artikel.
Kennst du das auch?
Du hast eine Aufgabe vor dir und weißt, dass es eigentlich am besten wäre, sie gleich hinter dich zu bringen. Oder zumindest damit anzufangen: die komplizierte Steuererklärung, die Vorbereitung auf eine Prüfung, ein kniffliges Projekt bei der Arbeit, der Wäscheberg nach dem Urlaub… Und dann weißt du nicht, wo du anfangen sollst. Bist nicht sicher, ob du das wirklich kannst. Oder hast einfach keine Lust. Anstatt anzufangen, greifst du also lieber erstmal nach deinem Handy. Oder widmest dich einer anderen Aufgabe, die zwar weniger wichtig, dafür aber interessanter oder schneller erledigt ist. Und irgendwann schleicht sich der Gedanke ein: “Jetzt lohnt es sich heute eh nicht mehr, ich mache das lieber morgen.” Und die Aufgabe bleibt liegen.
Wenn dir das bekannt vorkommt, bist du in allerbester Gesellschaft. So gut wie jede:r schiebt ab und zu etwas auf.
Was steckt dahinter?
Anstehende Aufgaben können mit unangenehmen Gefühlen einhergehen. Die emotionale Bandbreite reicht von Langeweile über Überforderung bis hin zu Versagensängsten. Wer eine unliebsame Aufgabe erstmal von sich schiebt, hält sich für den Moment auch die unangenehmen Gefühle vom Hals. Kurzfristig fühlt sich das durchaus erleichternd an – aber eben nur kurzfristig.
Denn die aufgeschobene Aufgabe ist ja trotzdem noch da. Und wenn die Gedanken wieder zur Aufgabe wandern, sind auch die unangenehmen Gefühle zurück. Häufig nicht allein, sondern in Begleitung von Schuldgefühlen oder Selbstvorwürfen. Wenn der Zeitdruck wächst, weil zum Beispiel eine Abgabe näher rückt, kommt dann noch Stress dazu. Was also mit dem Versuch begann, ein unangenehmes Gefühl loszuwerden, endet mit mehr unangenehmen Gefühlen. Oft auch mit einem schlechteren Ergebnis. Im schlimmsten Fall sogar mit einer zu spät abgegebenen Steuererklärung, einer vergeigten Prüfung, einem ärgerlichen Kunden.
Wenn Aufschieben so hohe Kosten verursacht, warum fällt es dann so schwer, darauf zu verzichten? Eben weil es kurzfristig entlastend wirkt. Die negativen Folgen sind dagegen erst im zweiten Moment spürbar. Genau das macht es so verlockend. Denn es liegt in der menschlichen Natur eher solche Dinge zu tun, die unmittelbar angenehm und belohnend sind und Unangenehmes zu vermeiden.
Was kannst du tun?
Wenn auch du zum Aufschieben neigst und das verändern möchtest, gibt es verschiedene Strategien, die dir dabei helfen können. Vielleicht ist in unserer Sammlung eine Anregung dabei, die du ausprobieren möchtest.
Genau hinschauen
“Warum tue ich das eigentlich?” Dieser Frage gezielt auf den Grund zu gehen, kann im Kampf gegen das Aufschieben sehr wertvoll sein. Nicht auf eine selbstanklagende Weise. Sondern mit Verständnis und Mitgefühl. Überlege, welche Art von Aufgaben du typischerweise aufschiebst. Was macht diese Aufgaben so unangenehm, dass du ihnen zunächst lieber aus dem Weg gehst? Sind sie besonders langwierig? Besonders herausfordernd? Fürchtest du, ihnen nicht gewachsen zu sein? Ergeben sie für dich nicht wirklich Sinn? Oder geht es vor allem um solche Aufgaben, die mit hohen Erwartungen verknüpft sind – seien es Erwartungen von anderen oder Ansprüche, die du selbst an dich stellst? Welche Gefühle die Aufgaben in dir auslösen, gibt einen wichtigen Hinweis darauf, was dir beim Anfangen und Dranbleiben helfen könnte.
Erreichbare Ziele setzen
Wenn du nicht weißt, wo du eigentlich hin willst, oder der Weg ans Ziel sehr lang und steinig ist, ist es viel schwerer überhaupt loszugehen. Um Frust, Überforderung und Unlust vorzubeugen, braucht es konkrete und vor allem realistische Ziele. Unterteile große Ziele in kleine Teilziele. Anstatt den großen Berg vor dir zu sehen, blickst du dann immer nur auf die nächste klar umgrenzte Etappe, die vor dir liegt und hast schneller und häufiger ein Erfolgserlebnis.
Für Belohnungen sorgen
Mit lästigen oder herausfordernden Aufgaben zu beginnen, wird immer etwas unangenehm bleiben. Zusätzlich motivieren kannst du dich, indem du dir vorab kleine Belohnungen überlegst. Das kann dann zum Beispiel so aussehen: “Wenn ich jetzt gleich mit der Aufgabe beginne, gönne ich mir anschließend eine Folge meiner Lieblingsserie.” Oder so: “Ich fange jetzt sofort an, dann kann ich nachher noch ein Stündchen in die Sonne.”
Ablenkungen vorbeugen
Womit lenkst du dich typischerweise ab, wenn du Aufgaben aufschiebst? Mit deinem Handy? Einer Serie? Einer anderen Aufgabe? Versuche es dir möglichst schwer zu machen, dich abzulenken. Das kann bedeuten, bestimmte Ablenkungsquellen bewusst zu verbannen, zum Beispiel dein Handy oder das Internet auszuschalten, falls du es für deine Aufgabe nicht zwingend brauchst. Es kann auch hilfreich sein, dir eine möglichst ablenkungsfeindliche Umgebung zu suchen, zum Beispiel als Student:in zum Lernen in die Bibliothek zu gehen oder als Selbstständige:r einen separaten Arbeitsplatz anzumieten.
Arbeitszeit begrenzen
Eine paradoxe aber recht wirksame Methode ist es, die Zeit, die du einer Aufgabe widmest, bewusst zu begrenzen. Bevor du mit deiner Aufgabe startest, legst du dir dazu ein klares Zeitfenster fest, das du nicht überschreiten darfst. Indem du deine Arbeitszeit verknappst, wechselst du die Perspektive von “Ich muss (eigentlich) arbeiten” zu “Ich darf (nur jetzt) arbeiten”. Die Zeit wird dadurch kostbarer, was dir helfen kann, sie effektiver und ohne Aufschieben zu nutzen.
Ängsten begegnen
Wenn es Versagensängste sind, die zum Aufschieben verleiten, kann sich ein näherer Blick auf die Ängste lohnen. Was befürchtest du? Was könnte schlimmstenfalls passieren? Und wie realistisch ist das? Wenn du den Eindruck hast, dass dir tatsächlich bestimmte Kenntnisse oder Fähigkeiten für eine Aufgabe fehlen, gibt es auch dafür Lösungsmöglichkeiten. Bitte jemanden um Unterstützung. Plane dir ausreichend Zeit zur Vorbereitung ein. Oder mach dich auf die Suche nach passenden Fort- und Weiterbildungsangeboten.
Eigene Ansprüche hinterfragen
Wenn der Gedanke an eine Aufgabe sehr starken Druck in dir auslöst, könnte das wiederum mit einem hohen Anspruch an dich selbst zu tun haben. Wusstest du, dass Perfektionismus sogar recht häufig mit der Tendenz zum Aufschieben einhergeht? Das Aufschieben dient dann in der Regel dazu, den hohen Ansprüchen zumindest für den Moment zu entfliehen. In diesem Fall kann es sich lohnen, dich verstärkt mit deinem Perfektionismus und den dahinterliegenden Ängsten auseinanderzusetzen.
Eine bewusste Entscheidung treffen
Es ist natürlich ok auch mal etwas aufzuschieben – vorausgesetzt du tust es bewusst. Versuche also immer genau hinzuschauen, warum du gerade aufschieben möchtest. Überlege dir außerdem, welche Folgen es hat, wenn du etwas aufschiebst – und ob du diese in Kauf nehmen möchtest. Und dann triff eine bewusste Entscheidung.
All dies mag gut klingen, aber es in die Praxis umzusetzen kann natürlich Zeit und Mühe kosten. Denke daran, dass es eher um viele kleine Schritte geht als um einzelne große. Auch Rückschläge und Zweifel gehören dazu. Wenn du trotzdem am Ball bleibst, hast du gute Chancen dein Wohlbefinden auf lange Sicht zu verbessern.
Schiebst du noch auf oder prokrastinierst du schon?
Wenn du gelegentlich etwas aufschiebst, deine Aufgaben in der Regel aber dennoch zu deiner Zufriedenheit abschließen kannst, ist das kein Grund zur Sorge.
Zum Problem wird das Aufschieben jedoch, wenn…
- …es deine persönlichen Ziele gefährdet, weil du wichtige Aufgaben unvollständig, zu spät oder gar nicht abschließt.
- …du aufgrund des Aufschiebens oft unter deinen Möglichkeiten bleibst.
- …es zu beruflichen, finanziellen oder privaten Schwierigkeiten führt.
- …dein Wohlbefinden und dein Alltag darunter leiden.
Ausgeprägtes Aufschieben wird in der Psychologie auch als Prokrastination bezeichnet. Prokrastination ist bislang nicht in den gängigen Klassifikationssystemen (ICD-10 und DSM-V) als Krankheit vertreten. Trotzdem verursacht chronisches Prokrastinieren bei den Betroffenen oft sehr hohen Leidensdruck. Neben Leistungseinbußen und Stress steht Prokrastination mitunter auch mit Depressivität, Ängstlichkeit, Schlafproblemen und erhöhtem Alkoholkonsum in Verbindung. Rund jede:r Zehnte kämpft mit Prokrastination, darunter vor allem Menschen, die sich die Zeit für ihre Aufgaben frei einteilen können, wie Studierende oder Selbstständige.
Wenn du depressive Symptome, Ängste oder andere psychische Belastungen in Verbindung mit Prokrastination erlebst, ist es auf jeden Fall ratsam, dir Unterstützung durch eine:n Psychotherapeut:in zu suchen.
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